Die Sache mit den Tonwerten
Fast immer wenn ich mir Werke von Zeichenanfängern anschaue, könnte ich die Werke einteilen in zwei Kategorien: die einen trauen sich fast nicht, das Blatt Papier mit dem Bleistift zu berühren, sie könnten ja einen Fehler machen. Ihnen muss ich dann sehr oft sagen: „Du darfst noch mehr Gas geben, du darfst etwas fester aufdrücken.“ In die andere Kategorie gehören die Leute, die den Hang haben, zu fest aufzudrücken. Sie drücken manchmal mit dem Bleistift so fest auf, dass gleich die ersten Linien auf dem Papier rabenschwarz werden. Im schlimmsten Fall entsteht dann eine kleine Furche im Papier, sodass, die Linie niemals mehr ausradiert werden kann. Diese Kursteilnehmer muss ich dann erst einmal ein wenig bremsen.
Eigentlich suchen wir ein Mittelding zwischen den beiden Extremen
Sowohl in der Malerei als auch beim Zeichnen spricht man von Tonwerten: Also wieviele sehr helle Helligkeiten, wieviele komplett dunkle Stellen und wieviele Zwischentöne stecken in einem Bild. Einige Zeichner da draussen unterscheiden zwischen zehn Tonwerten, andere fünf. Ich finde, fünf sind genug, denn so kann man sie sich viel besser merken.
Beim Bleistiftzeichnen bedeutet das, der hellste Tonwert (#1) ist so weiss wie das Papier, der dunkelste Tonwert (#5) ist so dunkel, wie unser Bleistift hergibt, also annähernd schwarz. Tonwert (#3) ist der Grauwert genau dazwischen, qasi die Hälfte zwischen schwarz und weiss. Tonwert (#2) liegt zwischen (#1) und (#3) und Tonwert (#4) liegt zwichen (#3) und (#5). Das ergibt eine gleichmässige Abstufung, wie eine Leiter von weiss nach schwarz. Eine Zeichnung sollte möglichst alle Tonwerte in sich vereinen. Schliesslich liebt der Betrachter Kontraste! Der Hell-Dunkel-Kontrast ist bestimmt einer davon.
Aber was bedeutet das für nun uns Zeichner?
Ich beginne eine Zeichnung immer sehr hell, das heisst ich drücke den Bleistift kaum auf, wenn ich mit einer Zeichnung beginne. Meine Faustregel ist, drück immer nur so fest mit dem Bleistift auf, dass du den Strich oder die Fläche jederzeit mit dem Knetgummi oder einem Radierstift leicht wieder wegwischen kannst. – Nun gebe ich mehrere Schichten auf’s Papier, erst mit einem eher harten Bleistift, einen HB- oder B-Bleistift, später mit einem weicheren 2B oder 3B-Bleistift und schliesslich, nach vielen Durchgängen nehme ich dann manchmal noch weichere Bleistifte, vielleicht bis zu 5B, 8B, selten sogar 14B.
Hier ein Beispiel aus der Praxis
Kürzlich hatte ich mit einer Gruppe folgendes Bild gezeichnet: Ein Haus in Paris. Ein Strassencafé, unten an der Seine, ein paar Sonnenschirme zum Trottoir hin ein Mann, der über den Fussgängerstreifen geht. Unter den Teilnehmern waren Fortgeschrittene aber durchaus auch Anfänger. Wir hatten also das Haus zuerst einmal grob skizziert. Wie erwähnt, zuerst nur mit einem HB- oder B-Bleistift. Gleich danach hatten wir angefangen, die ersten groben Flächen (Tonwerte) zu legen. Mal ein bisschen heller, mal ein bisschen dunkler, wir blieben aber beim HB- und B-Bleistift. Dunkle Flächen, wie die linke Hausfassade oder das Dach ein bisschen nachgedunkelt, schliesslich hatten wir alles mit einem Papiertuch verwischt. Dabei mussten wir unbedigt darauf achten, dass wir die Vorzeichnung darunter (noch) nicht verlieren. Die hellen Stellen wie die Zierleisten am Haus oder die Sonnenschirme hatten wir mit einem Knetgummi oder einem Radierstift herausgeholt, dann zeichneten wir, sehr flächig (!), die Fenster ein, die Jalousien am Haus, die Balkongeländer und den Mann im Vordegrund.In der ersten Phase des Bildes achteten wir darauf, dass wir nich über Tonwert #3 heraus kamen, so dass wir jederzeit Dinge mit dem Knetgummi oder dem Radierstift wieder herausheben konnten.
Wir bleiben Flächig
auch in der zweiten Phase des Bildes
In der zweiten Phase des Bildes kamen dann schon ein wenig kleinere Flächen zum tragen: Die Fenster durften schon ein wenig genauer sein in ihren Flächen (bitte noch keine Details!). Wir zeichneten die Geländer an den Balkonen, ebenfalls sehr flächig, die Fenster und die Türen des Restaurants, zum Trottior hin kam ein Baum, dessen Laub zum Teil durchblicken lässt auf die Fassade mit den angezeichneten Fenster. Den Mann im Vordergrund konnten wir noch einmal überarbeiten und ihm bereits eine genauere Form geben, ausserdem konten wir mit dem Radierstift den Fussgängerstreifen herausholen.
in Pfase drei kommen Dunkelheiten
In der dritten Phase des Bildes geht es darum, die dunklen Flächen noch mehr zu verdunkeln: wir werden sicherer mit jeder Schicht, denn das Darunterliegende gibt uns immer mehr Sicherheit. Wir können hier tatsächlich schon einige sehr dunklen Stellen schraffieren (#4). Trotzdem dürfen wir auch hier nicht all zu doll aufdrücken, einfach für den Fall, dass wir noch etwas wegradieren wollen. Ich für meinen Fall möchte ich an dieser Stelle sicher noch die vordersten Striche vom Zebrastreifen herausheben, die Sonnenschirme klarer definieren und ein paar Tische und Stühle unter den Jalousien herausradieren.
Die Details kommen erst zum Schluss
Dann, in Phase vier und fünf kommen endlich die Details (!), die Schatten, wo noch nötig und schliesslich die richtig dunklen Töne! Ihr seht es selber, wenn ein Bild die Tonwerte (von #1, weiss wie Papier bis #5, schwarz wie die Nacht) aufweist, bekommt ein Bild die richtige Tiefe und Spannung.
Übrigens, die eine Anfängerin im Kurs sagte mir nach der Lektion, sie hätte nie gedacht, dass sie in so kurzer Zeit so viel lernen würde, sie war sehr zufrieden mit ihrem eigenen Resultat. Sie hätte sich das niemals zugetraut. Ich sage dann immer, den Muntigen gehört die Welt! Couragierte Anfänger sind bei mir immer Willkommen.
Übrigens, die eine Anfängerin im Kurs sagte mir nach der Lektion, sie hätte nie gedacht, dass sie in so kurzer Zeit so viel lernen würde, sie war sehr zufrieden mit ihrem eigenen Resultat. Sie hätte sich das niemals zugetraut. Ich sage dann immer, den Muntigen gehört die Welt! Couragierte Anfänger sind bei mir immer Willkommen.
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