Zeichen-Anfänger aufgepasst
Wolltet ihr auch schon einmal einen Brunnen, ein Haus oder auch nur einen Pfeiler oder eine Stütze zeichnen und das Ding sah am Ende irgendwie komisch aus? Und ihr fragt euch vielleicht: hier stimmt irgendetwas nicht. Aber ihr könnt euch einfach nicht erklären, woran das liegt. Die Antwort ist: Perspektive!
Bitte, erkläre uns doch die Perspektive…!
Da stand ich nun am zweiten Tag meiner Malreise mit meinen elf Reisegästen in Yverdon-les-Bains. Mindestens fünf meiner Reistgäste gestanden, totale Anfänger zu sein. Und sie bestanden darauf, sie sagten: Bitte, erkläre uns doch die Perspektive. Was sollte ich also machen?? Ich dachte zuächst, einem Anfänger die Perspektive zu erklären ist, wie ein Haus zu bauen und beim 2. Stockwerk zu beginnen!
Ich versuchte also, das Thema in mundgerechte Stücke zu zerstückeln und fing an.
Eines vorweg: Am Ende des Tages hatte ich 11 strahlende Gesichter, 11 glückliche Teilnehmende, die durchwegs tolle Zeichnungen in ihren Skizzenbücher zu stande brachten – Zeichnungen, die sich wirklich sehen lassen dürfen! (Impressionen zu unserer Murtenreise findet ihr hier.)
Ich suchte uns also ein geeignetes Gebäude in der Nähe
Es sollte ein Gebäude sein, das eine markante senkrechte Linie aufweist, von der aus die Fluchtlinien gut bis sehr gut zu sehen sind. Ich wurde rasch fündig, gleich hinter dem Place Pestalozzi. Wir setzten uns also unter einen Baum in den Schatten und ich fing an zu erklären:
Wenn ihr ein Gebäude, einen Kirchturm, einen Brunnen, oder irgendetwas Ähnliches Würfelartiges zeichnen möchtet, sucht euch immer zuerst die eine senkrechte Linie, die euch am nächsten steht. (In diesem Fall war es die vorderste Häuserkante. Ich habe sie markiert mit einer grünen Linie). Dann setzt ihr euch auf euren Campingstuhl, haltet den Kopf gerade und schaut auf diese eine senkrechte Linie – ich ging derweil nach vorne zum Gebäude und hielt die Hand an die Kante des Hauses, ungefähr auf Augenhöhe meiner Kursteilnehmer. Hier, sagte ich, hier geht eure Horizontlinie durch – eine waagrechte Linie, die ihr euch vorstellen müsst, sie ist unsichtbar. Die Horizontlinie ist immer auf Augenhöhe des Betrachters. (Wenn ihr von euren Campingstühlen aufstehen würdet, würde sich eure Horizontlinie entsprechend eurer Körpergrösse nach oben verschieben, das ist wichtig für’s Verständnis). (Ich habe diese Linie hier rot markiert)
Nun schaut auf der senkrechten (grünen) Linie nach oben: Merkt euch zum Beispiel den Dachkännel, die Fenstersimse oder die Zierlinen des Hauses: Alle Linien, die oberhalb eurer Augenhöhe sind, fallen von dieser ersten senkrechten (grünen) Linie herunter – entweder nach links zum Fluchtpunkt 1 auf eurer Horizontlinie oder nach rechts zum Fluchtpunkt 2 auf eurer Horizontlinie.
Alle Linien die nun unterhalb eurer Augenhöhe sind, steigen von dieser ersten (grünen) senkrechten Linie hinauf – ebenfalls entweder nach links zum Fluchtpunkt 1 auf eurer Horizontlinie oder nach rechts zum Fluchtpunkt 2. Alle senkrechten Linien bleiben immer senkrecht. Das sind die wichtigsten Merkmale der 2-Punkt-Perspektive, die ihr wissen müsst.
Pfeiler gezeichnet von Heidi S.
Schaut euch also gerne noch einmal das erste Bild einer meiner Kursteilnehmerinnen an: sie wollte einen Pfeiler zeichnen, an dem ein grosses, schmiedeisernes Tor verankert war. Sie sass davor und sass definitiv unterhalb des Kapitells dieses Pfeilers. Betrachtete ich nun ihre erste senkrechte (grüne) Linie, stiegen die Fluchtlinien irgendwo in den Himmel hinauf: dabei sollten die Linien doch fallen, weil doch das Kapitell definitiv oberhalb ihrer Augenhöhe lag. Sie zeichnete den Pfeiler also noch einmal, und siehe da, es sah schon sehr viel stimmiger aus als bei ihrem ersten Versuch. Das war super.
Brunnen gezeichnet von Elisabeth B.
Kurze Zeit später zeichnete eine andere Teilnehmerin, ebenfalls eine blutige Anfängerin, einen Brunnen. sie hatte anfangs genau den gleichen Fehler gemacht, auch ihre Linien vom Hut des Brunnenpfeilers wanderten zuerst in den Himmel hinauf. Nachdem ich ihr die Perspektive noch einmal erklärt hatte, zeichnete sie diesen hübschen Brunnen, der vor dem Albert Ankerhaus in Ins steht. Und einfach toll: die Perspektive stimmt nun! Ich bin so stolz auf sie! Genau solche Aha-Momente, solche Erfolge meiner Kursteilnehmer motivieren mich immer wieder, wenn ich merke, ich kann meine Teilnehmerinnen und Teilnehmer weiterbringen: Einfach einen Schritt weiter auf ihrer hoffentlich noch langen Zeichenreise.